GEGEN ANDERSDENKENDE
Nur den einen Rat möchte ich Euch noch geben,
daß Ihr das Gemeine den Gemeinen,
das Höhere aber und die Geheimnisse bloß
hervorragenden Mannern und vertrauten Freunden mitteilt.
Der Benediktinermönch Trithemius an Agrippa von Nettesheim
Leider beschränkt sich die Geschichte der Bekämpfung Andersdenkender seitens der Kirche nicht bloß auf das Mittelalter.
Wie wir schon gesehen haben, begann dieser Kampf bereits während der ersten Jahrhundertes in denen der kirchliche Kanon festgelegt wurde.
Er zieht sich durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch, bis in unsere Tage.
Es ließe sich deshalb eine beliebig lange Liste von Dissidenten aller möglichen Schattierungen aufführen, deren Leben entweder auf dem Scheiterhaufen oder, wenn ihnen das ßchicksal gnadiger gestimmt ist, im Exil endet.
In unseren Tagen mag auch schon die Entzichung der Lehrerlaubnis an den Universitäten genugen, um das Leben eines solchen Unruhestifters zu zerstören.
So sind wir auch heute noch weit von einer Verwirklichung des Toleranzgedankens entfernt, die bei uns selbst beginnen sollte!
Ein Vorlaufer solcher Dissidenten, der zeit seines Lebens bemuht sein muß, sich gegen einen anmaßenden Widerstand gegen seine Person zu wehren, stammt aus Munchen: der deutsche König und spätere Kaiser Ludwig der Kaier (reg. 1314/1328 - 1347).
Er tut dies zeitweise auf recht kauzige Art. Seine Auseinandersetzungen mit Päpst Johannes XXII. nehmen ihren Anfang, als er 1323 den Grafen Berthold von Neiffen zum Generalvikar für das römische Reichsgebiet ernennt.
Überall als König respektiert, will er damit nach staufischem Vorbild die Rechte des Reiches auch in Italien wieder wahrnehmen.
Als dann der neue Reichsvikar für Italien im Auftrag Ludwigs mit einer kleinen Heeresabteilung Mailand von seinen päpstlichen belagerern befreit, beginnt der letzte große Zusammenstoß zwischen Kaisertum und Päpsttum im abendlandischen Mittelalter.
Päpst Johannes XXII. tituliert Ludwig abwertend stets ohne alle seine königlichen Attribute nur mit "Ludovicus Bavarus"; mit diesem Namen sollte Ludwig in die Geschichte eingehen.
In seinem Kampf gegen den Wittelsbacher setzt der Päpst alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein: Bann, Exkommunikation und Verdammung als Ketzer durch die Inquisition.
Uber Bayern wird das Interdikt verhängt: Dabei durfen keine Kirchenglocken mehr gelautet, keine Messen gelesen und keine Sakramente mehr gespendet werden.
Mit dieser Maßnahme erhofft sich die Kirche, das gläubige Volk gegen den Verursacher des Interdikts aufwiegeln zu können.
Aber Ludwig der Kaier weiß um seine Starke und laßt die Reichskleinodien in die Kapelle der Herzogsburg nach München in Sicherheit bringen.
Damit sichert er sich die Krone des Heiligen Römischen Reiches und kann sich gegen den von den Habsburgern als König eingesetzten Friedrich den Schönen durchsetzen, den er auf der letzten großen Ritterschlacht auf deutschen Boden 1322 schlägt, auf der Giggelfehnwiese bei Mühldorf.
Ludwig schert sich auch wenig um die päpstlichen strafmaßnahmen und läßt sich 1327 in Mailand die Lombardenkrone aufsetzen.
Am Tag des Minoritenheiligen Antonius von Padua, dem 17. Januar 1328, empfängt er in der Petersbasilika in Rom mit Zustimmung des römischen Senats aus der Hand von Sciara Colonna die Kaiserkrone.
Der Schutz des Kaisers wird auch einer Reihe weiterer "Querdenker" zuteil, die bei den Münchner Franziskanern Unterschlupf finden, im neu errichteten "Hauskloster" des Herzogssitzes, das man 1282 nicht weit vom "Alten Hof errichtet hatte.
Es gewinnt für die Politik und Verwaltung des Landes besonderes Ansehen, neben seinem Verdienst als Zuflüchtsstatte für Flüchtlinge der antipäpstlichen Opposition: Dazu gehören unter vielen anderen der im "Armutsstreit" unterlegene Ordensgeneral der Franziskaner Michael von Cesena, die Pariser Magistri Johannes und Marsilius von Padua, der erste Verfechter der Volkssouveranität, der Provinzial der oberdeutschen Minoritenprovinz Heinrich von Talheim, der von 1328 - 30 zeitweilig das Amt des Reichskanzlers innehat, wie auch der englische Franziskanermönch William von Ockham.
William von Ockham (ca.1285 - 1349) verdankt der Verfilmung von Umberto Ecos Roman DER NAME DER ROßE erst in unseren Tagen seine "Wiederentdeckung".
Er wird um 1285 im Dorf Ockham in der Grafschaft Surrey südwestlich von London geboren und 1306 zum Subdiakon geweiht.
Sein Studium absolviert er in Oxford, wo er um 1318 als Magister dieVorlesungen über die SENTENZEN des Petrus Lombardus halt.
Später lehrt er über Aristoteles an der franziskanischen Abteilung der Londoner Universität.
Persönliche An imos itaten veranlassen den Kanzler der Universität Oxford, ihm die Zulassung zur Promotion (zum "Magister regens") zu verweigern und ihn später als Ketzer beim Erzbischof von Canterbury anzuprangern.
Damit wird ihm die Vorlesungserlaubnis entzogen und er 1324 vor das Heilige Offizium der Inquisition nach Avignon zitiert.
Der vierjahrige Prozeß (zeitgleich mit dem gegen Meister Eckhart) verlauft jedoch im Sand.
Am 26. Mai 1328 kommt William weiteren Anfeindungen zuvor und flicht zusammen mit seinem Ordensgeneral Michael von Cesena, dem Prokurator der Franziskaner, Bongratia von Bergamo und anderen nach Pisa, wo er sich in den Schutz Kaiser Ludwigs des Baiern begibt: "Verteidige Du mich mit dem Schwerte, ich will Dich mit der Feder verteidigen!"
Mit dem kaiserlichen Heer zichen sie nach Munchen weiter, das Ludwig als erster deutscher Kaiser zu seinem festen Regierungssitz bestimmt hat und das auch ihre neue Heimat wird.
William hat nicht nur wegen seiner Stellungnahme zum "Armutsstreit" die päpstlichen Instanzen herausgefordert.
Es sind auch seine kritischen Beiträge zu allgemeinen Gläubensfragen: Lassen sich die christlichen Gläubenssätze rational aufzulösen?
Läßt sich das Ziel der Scholastiker, den Gläuben einsichrig zu machen, überhaupt erreichen? Wie findet sich der Weg zur Erkenntnis? Heute betrachtet man "die Erneuerung des Nominalismus" als Ockhams wichtigste tat für die Philosophie.
Für ihn sind die Einzeldinge das Wirkliche, während allgemeine Begriffe nur im denkenden Geist existieren.
Aber im Gegensatz zu seinen mehr naturwissenschaftlich orientierten Mitbrudern (u. a. Roger Bacon, Ramon Llull), die alles beweisen wollten, meint Ockham, daß vielem, wie z. b. das Dasein Gottes und seine Eigenschaften, nicht mit der Vernunft beizukommen sei.
Höchstens durch Analogieschlusse könnten Wahrscheinlichkeitsthesen aufgestellt werden.
Ockham pladiert auch für die freie Meinungsaußerung: "Es ist erlaubt, ohne die Gefahrdüng für die seele, das Vorhaben eines Autors verschieden und gegensätzlich zu interpretieren, da es sich nicht um einen Verfasser der Heiligen schrift handelt.
Ein Irrtum in solcher Angelegenheit zieht keine moralische Verkehrtheit nach sich; vielmehr hat bei derartigen Unternehmen jener, ohne daß er irgend eine Gefahr befürchten muß, das Recht auf freies Urteil.
" Nach Ockham gibt es auch keine vorgegebenen, ewig gultig allgemeinen begriffe, keine Universalien.
Begriffe sind vom menschlichen Geist gebildet, und der Mensch sei letzten Endes ohne Gewigheit, ohne Halt ein "viator mundi", ein Wanderer auf der Welt ...
In München differenziert Ockham mit spitzer Feder in der kleinen schrift DEFENSORIUM (1334) zwischen der vom Heiligen Geist geführten "Ecclesia Universalis" und der von den "irrenden Päpsten in Avignon" geführten Kirche.
Zusammen mit der Gruppe der spiritualen Minoritenmönche wirft er dem Päpst Johannes XXII. in Avignon gar Simoni vor, da er die hohen Amter der Kurie gegen Geld verleihe.
In der sogenannten "Sachsenhausener Appellation" bezeichnet diese Gruppe den Päpst wegen seiner stellungnahme in der Armutsfrage als Haretiker und zweifelt die Rechtmäßigkeit seines Pontifikats an.
Der Streit um das Armutsgelubde, gepaart mit dem Kampf Kaisertum gegen Päpsttum sorgt so für einen Höhepunkt geistiger, aber auch literarischer Auseinandersetzungen, in denen während dieser Zeit in der bayerischen Hauptstadt mehr theologische und sozialkritische Diskurse und schriften entstehen, als in ihrer gesamten bisherigen Geschichte.
Oberste Autorität besitzt für Ockham neben der apostolischen Tradition nur die Heilige Schrift.
Am 9. April 1349, zwei Jahre nachdem sein Schutzherr, der Wittelsbacher Kaiser Ludwig im Liebfrauendom zu München seine letzte Ruhestatte gefunden hat, erliegt der über sechzigjahrige William von Ockham dem schwarzen Tod, der Pest.
Eine Bronzetafel erinnert noch heute an ihn: "Unter dem Max-Joseph-Platz befand sich bis 1803 der Friedhof der Franziskaner.
Er nahm zur letzten Ruhe auf Wilhelm von Ockham, gestorben 1349 ..."
Sein Landsmann, der englische Reformator und Bibelübersetzer John Wycliffe (ca.1329 - 1384), hat ebenso wie William von Ockham an der Universität von Oxford studiert und später dort auch gewirkt.
Als Magister am Balliol College muß er die schriften Williams kennengelernt haben.
Bald schon stellt er sich gegen den kirchlichen Einfluß am Königshof und vertritt die Ansicht, daß nicht der kirchlichen Hierarchie, sondern vielmehr der Bibel die höchste Autorität zustünde.
Als er später auch noch das Bundenbekenntnis und die Bundenvergebung durch die Priester ablehnt, entzieht man ihm 1382 die Lehrerlaubnis, und er muß Oxford verlassen.
Die von ihm ausgelöste bewegung setzt jedoch scharen von reisenden Predigern auf den Weg.
Sie wird später den Reformationsgedanken in Böhmen und auch bei uns wesentlich beeinflussen.
Zu den wichtigsten und genialsten Vordenkern zählt auch Nikolaus vom Moselörtchen Kues (1401 - 1464).
Nikolaus (auch Cusanus genannt) ubt stets die Annaherung von unterschiedlichen Ideen und ist deshalb auf dem Konzil von Basel/Ferrara so erfolgreich.
Er gilt sogar als "Vater des Konsens".
In der mystischen Schule der niederlandischen Mystiker der Devotio moderna aufgewachsen, erhalt er später vom Papst das Legat, "Welt- und Mönchsklerus im deutschsprachigen Gebiet zu visitieren" Seine mathematisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse sind ungeheuer vielseitig, und schon zweihundert Jahre vor Galilei führt er beweise durch, daß die Erde nicht der unbewegliche Mittelpunkt des Universums sein könne.
Als Philosoph vertritt er indes atemberaubende Thesen, die vermütlich nur deshalb nicht der inquisitorischen Kritik anheim fallen, weil sie noch niemand versteht.
Alles in der Welt sei als Mikrokosmos nur Abbild des Universums, in der alles in einer stetigen stufenfolge vom Höchsten zum Niedrigsten geordnet sei - wie das Gefalle der göttlichen Kraft.
Wir erkennen dabei eine beziehung zwischen den Dingen, nicht aber deren Wesen an sich.
Das Ziel unseres strebens und Wissens musse daher eine erweiterte Erkenntnis dessen sein, was die Dinge nicht sind, eine von "Gott im Nichts"; im ganzen Kosmos sei ein Prinzip der Gegensätzlichkeit verankert, wende sich aber unser Denken dem unerkennbaren und unbegrenzbaren Gott zu, mußten in ihm alle Widerspruche zusammenfallen und zur Einheit verschmelzen.
Erfaßt er damit schon das "grenzenlose Absolute" der kabbalistischen schopfungslehre?
Abb 20: Nikolaus von Kues
Im Vorlauf der Reformation hat 1338 der Kurverein zu Rhens das Vorgehen Ludwigs des Baiern bestätigt, daß der rechtmäßig gewählte römische König der päpstlichen bestätigung nicht bedurfe, um seine kaiserlichen Rechte auszuüben Daraufhin werden in der Goldenen Bulle 1356 die sieben Kurfürsten bestimmt, die den deutschen Kaiser künftig wählen sollen: drei geistliche, namlich die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, und vier weltliche, die von Brandenburg, Bachsen, der Pfalz und der König von Böhmen.
Die Goldene Bulle legalisiert eine Entwicklung, die sich schon lange abzeichnet: Der Zerfall des Heiligen Römischen Reiches, das sich in seine kleinen und kleinsten Territorialstaaten aufzulösen beginnt.
Der Kaiser muß an die Kurfürsten die Rechte des Reiches über Erzgruben und salzbergwerke, aber auch die Verfügungsgewalt über seine Burger abgeben.
Der spätere Kaiser Karl IV. (1316 - 1378) wird in Prag geboren und stirbt auch dort.
Als er nach dem Tod Kaiser Ludwigs des Baiern in Rom von einem Kardinallegaten zum Kaiser gekrönt wird, ist es seine Vision, das Zentrum des Reiches in seine Vaterstadt nach Böhmen zu verlegen.
Er will sie zur "Goldenen stadt" ausbauen lassen, die neben Kiew und Rom den dritten Punkt eines goldenen Dreiecks bilden soll.
Noch heute zeugen der Veitsdom auf dem Prager Hradschin, die Karlsbrucke, sowie die Burg Karlstein vom Glanz dieser Zeit.
Im Jahr 1344 erhalt die Böhmische Kirche einen eigenen Erzbischof und erlangt dadurch vom Mainzer Erzbistum Unabhängigkeit.
Das tschechische Nationalbewußtsein erfährt dabei einen ungeheuerlichen Aufschwung.
In dieser Zeit wird auch Anna, die Tochter Karls IV., mit dem englischen König Richard II. (reg. 1377 - 1399) vermahlt.
Dies führt zu einem regen kulturellen Austausch zwischen den beiden Universitäten Oxford und Prag, wobei das Gedankengut John Wycliffes in die Karlsuniversität (Carolina) einfließen kann.
Als in der Verordnung der zunachst deutschsprachigen Universität 1348 die vier beteiligten Nationen gleichberechtigt je eine Stimme erhalten, begehren die tschechischen Nationalisten auf, und es kommt zu ersten Unruhen.
Um 1369 wird Jan Hus in der sudböhmischen "Gansestadt" (Hussinetz) geboren.
Aus armlichen Verhaltnissen stammend, beginnt er sein Theologiestudium an der Carolina in Prag und erhalt 1400 die Priesterweihe.
Nachdem er 1396 seinen Magistertitel erhalten hat, steigt er 1401 zum Dekan der philosophischen Fakultät auf und 1402 zum Rektor der Carolina.
Aber sein Lebensziel richtet sich auf mehr.
Als Prediger verkundet er das Wort Gottes in tschechischer Sprache an der Bethlehemskirche in Prag, um deren Kanzel sich immer größer werdende Volksmassen drangen.
In diesen Predigten greift er bald die verlotterte und ungläubwurdig gewordene Kirche an und verteidigt die Lehren Wycliffes.
Aus seinen Worten "Vergebung der Sunden erlangt der Mensch durch wirkliche Reue und Buße, nicht aber um Geld" gläubt man die Worte Martin Luthers, hundert Jahre später, herauszuhören.
Abb 21: Jan Hus
Wenige Tage darauf verbrennt eine aufgebrachte Menge öffentlich die päpstlichen Ablaßschreiben.
Der Erzbischof verhangt darauflhin über Jan Hus und seine Anhanger den Kirchenbann, über Prag aber das Interdikt.
1412 wird Hus während einer Predigt von der Kanzel gezerrt und muß die "Goldene ßtadt" verlassen.
Wie später Luther versteckt er sich bei Freunden.
Am 11. Oktober 1414 folgt er der Aufforderung, auf dem ökumenischen Konzil in Konstanz seine Rechtgläubigkeit zu verteidigen, wo man ihn im darauffolgenden Jahr, nach Abschluß der Verhöre am 6. Juli 1415 im Dom zu Konstanz, verurteilt und als Ketzer der weltlichen Gewalt übergibt.
Die Zusicherung auf freies Geleit ist langst schon vergessen ...
Auf dem "Brühl" "zwischen Stadtmauer und Graben wird er in einem brennenden Holzstoß, der ihm bis zum Halse reicht", hingerichtet.
"Die Asche des verbrannten Hus haben sie sorgsam gesammelt und in den Rhein geschuttet, damit auch nicht ein Staublein übrig bliebe von diesem Mann.
Manche meinen, es sei deshalb geschehen, damit die Vögel die Asche nicht als eine Reliquie nach Böhmen führten.
Mitte des 15. Jahrhunderts schart sich in Florenz ein Kreis von Wissenschaftlern und Philosophen um den einflußreichen Cosimo de Medici (1389 - 1464), der das bedeutende Gewerbe- und Finanzunternehmen seiner Familie aufgebaut hat und der eigentliche Herrscher der Stadt ist.
Zu den Integranten dieses Kreises , die andererstarrten Denkweise der scholastik nicht langer festhalten wollen, zählen neben den Malern Michelangelo, Raffael, Bramante und Leonardo da Vinci auch Marcilio Ficino und Pico della Mirandola.
Auch einige fortschrittlich gesonnene Kirchenfürsten stoßen dazu.
Sie wollen ihre Ideale von Liebe und Schönheit nicht nur in den schönen Kunsten ausgedruckt, sondern auch in den Wissenschaften verwirklicht sehen.
Sie orientieren sich an ihrem großen Philosophenvorbild Plato, dessen Lehren sie nicht im Widerspruch zu Aristoteles und der christlichen Philosophie sehen.
Sie stellen sich Fragen wie: "Ist der Mensch in diesem Universum frei und hat er das Recht, seine Welt zu begreifen versuchen?"
Die überlegungen dazu, die in den vergangenen Jahrhunderten wie eine schwelende Glut unter der Asche unterdrückt wurden, fachen nun ein Feuer an, dessen Folgen nicht abzuschatzen sind.
Das humanistisch freizugige Denken beginnt Krafte freizusetzen und regt Kunstler, Schriftsteller und Wissenschaftler an, die alten Denkmuster bald vollends über Bord zu werfen.
Leonardo da Vinci (1452 - 1519), ein Universalgenie, wie die Welt vor ihm und nach ihm kaum einen anderen hervorgebracht hat, ist nicht nur Maler und Bildhauer.
Er arbeitet als Architekt, Astronom, Musiker (Violinist), Anatom, Ingenieur und als großer Erfinder, der auf fast allen seinen Betätigungsfeldern bahnbrechende Leistungen erbringt.
Seine Gedankenwelt beeinflußt den Humanismus sehr.
Gewißheit ergibt sich Für Leonardo nur durch eigene Erfahrung, und der Wert des Wissens hange vom Grad der Gewißheit ab.
Nur dasjenige dürfen wir uns zu begreifen ruhmen, das wir im eigenen Geiste entwerfen können.
Alles bewege sich im Notwendigen und Gesetzmäßigen, das auf Maß und Zahl beruhe; selbst das Geheimnis der schönheit.
In Leonardo sehen auch verschiedene Geheimgesellschaften eines ihrer herausragenden Mitglieder.
Mit dem Judentum war auch ihr kleiner esoterischer Kreis von Kabbalisten ins christliche Abendland gekommen.
Wir hatten von kabbalistischen schulen in Spanien und den provenzalischen Landern gehört.
Mit der Vertreibung der Juden aus diesen Landern gelangt die Kenntnis der Qabalah zunächst nach Italien (schwerpunkt in Florenz) und über verschlungene Wege auch zu uns.
Christen verurteilen diese Lehre allerdings meist als "verderbliches Teufelswerk".
so bleibt ihr studium nur wenigen suchenden und den toleranten und wißbegierigen Humanisten vorbehalten.
Pico della Mirandola (1463 - 1494) entstammt einer aristokratischen Familie aus der italienischen Emiglia und beschäftigt sich bereits in frühen Jahren mit den Philosophien Platos und des Aristoteles, bevor er sich dem studium der Gnostiker und Neuplatoniker zuwendet.
Seine Aufgabe sicht er darin, die christliche Lehre aus ihrer dogmatischen Enge und von aller scholastischen Verfremdung zu befreien.
Auf seiner Suche stößt er auf die hebraisch überlieferte Qabalah, von deren schrift er annimmt, daß sie unsere Ursprache sei.
Aus dieser Lehre leitet Pico seine einundsiebzig (zweiundsiebzig) kabbalistischen Thesen ab, die er in neunhundert "Conclusiones" formuliert, um sie dem Päpst vorzulegen und mit seinen Theologen zu diskutieren.
Dreizehn dieser Thesen werden allerdings von Päpst Innozenz VIII. verdammt.
In deutschen humanistischen Kreisen sollten sie jedoch zur Entwicklung einer christlichen Qabalah führen.
Der deutsche Kaiser Maximilian I. (reg. 1493 - 1519) erlaßt am 19. August 1509 eine Verfugung, mittels der er zur Beschlagnähmung der heiligen bücher der Juden aufruft: "Wir, Maximilian ... sind gläubwurdig unterrichtet worden, daß ihr (Jüden) in euren Synagogen und Bibliotheken etliche unbegründete und unnütze Bücher habt, die unseren heiligen christlichen Gläuben schmahen und verspotten.
Uns als Römischer Kaiser und Schwert der Christenheit gebuhrt es, ein Auge darauf zu haben.
Wir haben daher unseren Getreuen Johannes Pfefferkorn aus Köln, der wohlbeschlagen in eurem Gläuben ist, damit beauftragt, alle eure Bücher zu überprufen...." So wohlbeschlagen, wie der Kaiser gläubte, ist Johannes Pfefferkorn mitnichten: Als Sohn jüdischer Eltern hat er zunächst als Fleischer gearbeitet und besitzt nur geringe Kenntnisse in der hebraischen Sprache.
Nach seiner Taufe 1505 in Köln wandelt er sich zum Todfeind des Judentums.
Er gibt sich als Autor des 1507 erschienenen JUDENSPIEGEL aus, dem 1508 die JUDENBEICHTE und 1509 der JUDENFEIND folgen.
Alle erscheinen zunächst in lateinischer Sprache (die Pfefferkorn gar nicht beherrscht) und später in niederdeutschen und oberdeutschen übersetzungen.
Der Einfluß der Dominikaner ist unverkennbar!
Der Protest des Mainzer Kurfürsten Uriel von Gemmingen bewirkt, daß der Kaiser von mehreren Universitäten und angesehenen Theologen Gutachten einholen lassen muß.
Einer dieser Gutachter, der Pforzheimer Humanist und Jurist Johannes Reuchlin (1455 - 1522) hat Pico della Mirandola noch persönlich gekannt und seine Thesen weiter ausgearbeitet.
Da er neben dem Griechischen und Lateinischen auch das Hebraische beherrscht, kann er in einem Gutachten für Kaiser Maximilian I.1510 das judische schrifttum versiert verteidigen.
Über die kabbalistischen schriften meint er, daß sie "nit allein unschedlich, sondern unserem christlichen Gläuben auch am höchsten nutzlich" seien.
Während Reuchlin sich für die deutschen Juden einsetzt, versucht die Gegenpartei den unbequemen Humanisten loszuwerden.
Reuchlin muß drei Ketzerprozesse über sich ergehen lassen, in ßpeyer, Mainz und schließlich in Rom, wo er allerdings in Päpst Leo X. auf einen unvoreingenommenen Richter stößt.
Ihm widmet Reuchlin sein Werk DE ARTE CABALISTICA.
An der Erfürter Universität schlagen sich die Humanisten in diesem streit vehement auf seine seite.
In ihren weit verbreiteten "Dunkelmannerbriefen" verunglimpfen sie jede kirchliche Intoleranz und Borniertheit so geschickt, daß ganz Europa sich über diesen streit amusiert und die Gegner des Pforzheimers immer mehr an boden verlieren.
Reuchlin ist Großonkel von Philipp schwartzerdt, dessen Namen er ins Griechische übersetzt und der als Melanchthon als Führer der Reformation in die Geschichte eingehen wird.
Abb 22: Johannes Reuchlin
jüdischesZwei umstrittene Gestalten der ausgehenden Renaissance werden später als Wegbereiter des deutschen Rosenkreuzertums angesehen.
Beide kommen sie aus dem Konigreich Neapel, beide beginnen sie ihre Laufbahn im Dominikanerorden und beide werden sie später zu Opfern der Inquisition: Tomaso Campanella und Giordano Bruno.
Der begabte kalabrische Dominikanermönch Fra. Tomaso Campanella (1568 - 1639), als armer Sohn eines Schusters geboren, gerat schon früh in Konflikt mit den Autoritäten seines Ordens und beginnt 1597 eine umfassende weltliche und geistliche Reform zu predigen, die zu einer theokratischen Staatsform führen soll.
Sein poetischer Dialog DIE BONNENSTADT beeinflußt spätere "utopische Denkmodelle.
Nach einem mißgluckten Umsturzversuch, der das Königreich Neapel zur ersten Keimzelle einer erneuerten Welt machen sollte, wird Campanella verhaftet, gefoltert und zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der er erst nach siebenundzwanzigjahren entrinnen kann.
1612 kann ihn der zum Tubinger Rosenkreuzerkreis gehörige Tobias Adami besuchen und Abschriften seiner Manuskripte anfertigen.
Hans Schick meint in seinem Buch DAß ÄLTERE RÖSENKREUZERTUM, die Freundschaft mit Wilhelm Wense und Tobias Adami vermittelten im lahre 1612 und den folgenden dem Tübinger Kreis die reformatorischen Gedankengänge, die Eschatologie und die politisch-praktischen Plane des iralienischen Dominikaners Campanella und gaben damit einen Allstoß zur Veröffentlichung der FAMA (Fraternitatis).
Campanella gelingt später die Flucht nach Frankreich, wo er 1639 im Kloster des Heiligen Jakob in Paris stirbt, an dem Ort, wo nach einhundertfünfzig Jahren die Jakobiner die Französische Revolution einfadeln werden.
Bevor sich aber die Gedanken von Freiheit, Gleichheit und Bruderlichkeit ausbilden können, muß erst noch der ketzerische Dominikanermönch Giordano Bruno im Jahr 1600 auf dem Scheiterhaufen den Flammentod sterben.
Giordano Bruno (1548 - 1600) aus Nola, am Fuße des Vesuv, tritt schon mit fünfzehn Jahren in das Dominikanerkonvent seines berühmten Mitbruders Thomas von Aquin zu Neapel ein.
Die Strenge des Ordens sichert dem feurigen Temperament Brunos aber keinen Platz, so daß er 1576 seine "Peregrinatio" durch Europa beginnt.
Er wirkt zunachst in Toulouse, lehrt an der Universität zu Paris und begibt sich für zwei Jahre nach England, um wieder nach Paris zurückzukehren.
Er gerat schließlich in die Fange der Inquisition, weil er Gott und das All in seiner pantheistischen begeisterung betrachtet: Alles sei belebt und beseelt.
So könne Gott von uns nicht würdiger verehrt werden, als die Gesetze des Universums zu erforschen und ihnen nachzuleben ...
Eugen Drewermann läßt seinen Giordano Bruno aussprechen, was uns als Vermächtnis dieses dunklen Zeitalters dienen kann.
Es ist auch ein gutes Schlußwort für dieses dustere Kapitel in der Geschichte der Menschheit und Menschlichkeit!
"Sie haben mir Papier gegeben, genau 300 ßlatt, eine Feder, Tinte nebst Streusand ... Noch sieben Tage, dann beginnt ein neues Jahrhundert.
Offenbar haben sie meinen Tod beschlossen und diese 300 ßlatt sind meine Henkersmahlzeit ... Sie brauchen das Licht meines Scheiterhaufens, um sich und aller Welt zu zeigen, daß es kein neues Zeitalter gibt noch jemals geben darf ... Angst? Nein, ich bin froh, wenn alles voruber ist ... Ich bin nur noch mude ... Ich bin in den letzten acht Jahren gealtert, wie durch achthundert Jahre.
Aber warum nicht: vielleicht braucht es noch achthundert Jahre, bis man versteht, was ich vor mir sah, ohne es jemals verstehen zu können ... Ich habe nur meine Vision. Sie war mein Leben. Sie ist mein Tod. Sie ist was ich bin ... O. ich möchte sprechen mit den Menschen, die in achthundert Jahren sind, oder wenigstens mit denen, die in vierhundert Jahren leben werden im Jahre 2000, wenn ein neues Millennium anbricht.
Wer werden sie sein? So wenig wie die Seele eines Menschen, so wenig vergeht, was je Geist war.
Ich war Geist. Und ich bin Seele. So möchte ich diese 300 Blätter beschreiben als ein stummes Vermachtnis durch die Jahrhunderte ...
Doch die Flammen des Scheiterhaufens werden einen Wind entfachen, der diese Blatter forttragen wird durch die Jahrhunderte.
Für die Augen meiner Henker werden sie nichts sein als Asche.
Aber es wird immer wieder Menschen geben, die keine beschriebenen Blatter brauchen, um richtig zu lesen...
Wir sind auf unserer Zeitreise mit der Betrachtung einzelner Menschenschicksale am Ende des Mittelalters angekommen.
Im Verlauf dieses Zeitalters entwickelten sich die einzelnen europaischen Lander auf unterschiedlichste Weise weiter, während der Islam das Christentum immer enger in die Zange nahm.
Mitteleuropa gleicht jetzt einem bunten Flickenteppich, in dem sich die freien Reichsstadte und geistlichen Gebiete von denen der verschiedenen dynastischen Linien als eigenstandige Landereien abheben.
Die Machtgier hat viele der weltlichen Herrscher dazu verleitet, sich gegenseitig ihre Landereien streitig zu machen.
Einige von ihnen können sich dabei sogar auf einen Titel wie "Mehrer des Reiches" berufen.